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Träume vom WeltraumEin Überblick über die Geschichte der Space OperaWie lange träumen Menschen schon vom Weltraum? Für rund ein Jahrhundert war die Space Opera ein dominierendes, wenn nicht gar das dominierende Subgenre der Science Fiction. Einige Jahrzehnte lang schien "die Zukunft" gleichbedeutend mit dem Aufbruch ins All. Die Buchhandlungen waren voll mit Romanen, Anthologien, Groschenheften und Magazinen, die in bunter Vielfalt ausmalten, welche Wunder dem Menschen auf seiner Entdeckungsreise in den Weltraum begegnen würden – und welche ruhmreichen oder schmählichen Taten er auf seinem Weg dorthin begehen würde. Schaut man sich heute, Anfang der 2020er, die SF-Ecke im Buchladen an, dann scheinen diese Zeiten vorbei zu sein. Dominierend in der Science Fiction sind dieser Tage Dystopien, Untergangsszenarien und Thriller über künstliche Intelligenz. Außer in ein paar traditionsreichen Reihen mit einer soliden Fanbase kommt das Weltall meist düster, schwarz und leer daher. Waren die Träume vom Weltall also nur eine kurze Episode der phantastischen Literatur? Oder können sie wiederkehren? Zur Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick auf die bisherige Geschichte der Space Opera. Sie mag heute als Subgenre der Science Fiction gehandelt werden, aber das war nicht immer so. Genau genommen ist die Space Opera, wenn man sie als das Genre von Reisen durch das Weltall definiert, älter als die gesamte Literaturgattung der Science Fiction. Sogar sehr viel älter, wie wir im nächsten Beitrag sehen werden.
Etwa im 24. Jh. v. Chr. begann man in Babylon, Gedichte und Epen aufzuschreiben. Das noch relativ neue Medium Schrift, das bis dahin vor allem bürokratischen Zwecken gedient hatte, wurde so erstmals zum Vermittler unterhaltsamer Geschichten. Zu diesen frühen Gehversuchen der Belletristik gehört unter anderem das Epos des sumerischen Königs Etana. Neben vielen anderen Taten beschreibt der Text Etanas Versuch, auf einem Adler zur Göttin Ischtar hinaufzureiten. Während dieses Rittes sieht er hinab und überschaut die gesamte Erdenscheibe auf einmal. Als die Erde immer weiter unter ihm zusammenschrumpft, verlässt ihn schließlich der Mut und er lässt den Adler los und stürzt in die Tiefe. (In einem anderen Bestseller aus dieser Zeit wird beschrieben, wie dessen Titelheld Gilgamesch Etanas zerschmetterte Überreste findet.) Was sagt diese Geschichte aus? Unübersehbar enthält sie eine Lektion über Hybris – König Etana wagt sich weit aus den sicheren Gefilden der Sterblichen hinaus und bezahlt dafür mit dem Leben. So gesehen handelt es sich bestimmt nicht um einen Text, der zu Höhenflügen ermutigen wollte. Es handelt sich aber auch unzweifelhaft um den ältesten erhaltenen Text, in dem je die Idee formuliert wurde, so hoch zu fliegen, dass man die ganze Erde auf einen Blick erfasst. Und dass ein solches Abenteuer gleich zu den ersten Geschichten gehört, die überhaupt aufgeschrieben wurden, deutet darauf hin, dass der Traum, das All in seiner ganzen Größe zu bereisen, eher noch älter ist. Vielleicht so alt wie die Menschheit selbst. Unser Bild vom Weltraum hat sich in 4500 Jahren wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns erheblich gewandelt. Das ändert aber nichts daran, dass Etana in seiner Geschichte die Erde verlässt und das bereist, was nach babylonischer Vorstellung das "All" war. In diesem Sinne handelt es sich ganz klar um die älteste erhaltene Space Opera der Literaturgeschichte. Mit der Zeit wandelte sich das Bild des Kosmos und mit ihm die Vorstellungen der Menschen von Raumfahrt. Die folgenden Meilensteine der frühen Space Opera stehen in dem Buch "Phantastische Raumfahrt" von Heinar Köhl aufgeführt (Goldmann Verlag, 1970). Lukian von Samosata formulierte im 2. Jh. n. Chr. in seiner "Wahren Geschichte" erstmals die Vorstellung von Himmelskörpern als "Inseln" im Himmel, die man betreten und sogar besiedeln könne. In seiner Handlung führen die Bewohner von Sonne und Mond Krieg gegeneinander. Johannes Kepler erklärte 1610 in "Ein Traum von Levania" ausführlich, wie ein Mondbewohner den dortigen Tag-Nacht-Zyklus mit der Erde am Himmel erleben würde. 1744 beschrieb Eberhard Kindermann in "Die Reise der Fünf" detailliert die praktische Umsetzung einer Reise zum Mars. Als Fahrzeug für seine Protagonisten wählte er ein Flugschiff nach dem Entwurf des Jesuiten Francesco Lana Terzi. Auch wenn dieses Schiff von falschen theoretischen Grundlagen ausging und nie hätte gebaut werden können, handelte es sich doch um den ersten Ansatz eines ausgesprochenen Raumfahrzeugs in einer Geschichte. 1752 ließ Voltaire in seiner Erzählung "Micromegas" einen Besucher vom Sirius einen Disput mit einigen Gelehrten auf der Erde führen. So revolutionär diese Texte auch waren, blieben sie doch alle rein metaphorisch. Lukian etwa betrachtete seine "wahre Geschichte" als überzogene Parodie auf die griechischen Heldensagen. Keplers "Traum" gleicht eher einem theoretischen Vortrag als einer Geschichte. Die Protagonisten in Kindermanns "Reise" entsprechen den fünf Sinnen und kommunizieren mit der Erde mithilfe der Fama, der Personifikation des Gerüchts. Und "Micromegas" diente Voltaire in erster Linie dazu, von einer ungewöhnlichen Perspektive aus Selbstgewissheiten der Menschen in Frage zu stellen. Keine dieser Geschichten nahm für sich in Anspruch, etwas zu beschreiben, was eines Tages Wirklichkeit werden könnte. Dieser Anspruch kam erst im Zeitalter der Dampfmaschine auf. Der rapide technische Fortschritt des 19. Jahrhunderts brachte unter anderem auch eine neue Literaturgattung hervor: Visionen davon, was mithilfe der Technik eines Tages möglich sein würde. Als Wegbereiter dieses Genres gilt mit einiger Berechtigung Jules Verne. 1865 trafen in seinem Roman "Von der Erde zum Mond" erstmals die Träume vom Flug in den Weltraum auf harte Zahlen und Theorien. Anders als Lukians "Wahre Geschichte", Keplers "Traum" oder Kindermanns "Reise der Fünf" wimmelt das Buch von Dialogen, in denen ausführlich Daten der Mondbahn, die Bauweise des Raumfahrzeugs und die Energieausbeute des Treibstoffs diskutiert werden. Vernes Roman war nicht als Metapher für ethische oder epistemologische Fragen geschrieben, sondern als gründlich durchdachte technische Spekulation, auf welche Weise ein Flug zum Mond realisiert werden könnte. Vernes Romane waren lediglich ein Anfang, ein Nischenprodukt im weiten Feld der Abenteuerliteratur. Doch sie inspirierten andere Autoren, die dem Genre zu einem langsamen Wachstum verhalfen. So nahm auch H.G. Wells sich in "Die ersten Menschen auf dem Mond" (1901) des Stoffs einer Mondreise an, nachdem er schon in "Krieg der Welten" (1898) das umgekehrte Motiv behandelt hatte: die Ankunft von Außerirdischen auf der Erde. Deutlich optimistischer behandelte Kurd Laßwitz letzteres Thema in seinem Roman "Auf zwei Planeten" (1897), während Hans Dominik seine tapferen Pioniere in Romanen wie "Das Erbe der Uraniden" (1926) und "Treibstoff SR" (1939) ins All aufbrechen ließ. In Amerika schrieb Stanley G. Weinbaum mit seiner Kurzgeschichte "Mars-Odyssee" (1934) einen Meilenstein des Genres. Dennoch blieb der Weltraum innerhalb der Science Fiction nur ein Thema unter vielen, bis er durch ein paar technische Neuerungen auch in der Realität in greifbare Nähe rückte. Der Krieg, sagt man, ist der Vater aller Dinge. Und tatsächlich führte der zweite Weltkrieg einen sprunghaften Wandel auf vielen Gebieten herbei. Das Bemühen, den jeweils anderen Kriegsparteien zuvorzukommen, löste einen wahren Hagel an technologischen Durchbrüchen aus. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Science Fiction. Zeigt noch ein Sammelband des "Astounding Magazine" von 1939 zwischen Fantasy- und Horrorstories nur wenige technische Geschichten, so spielen schon im Band von 1943 fünf von sechs Geschichten auf Raumschiffen und fremden Planeten oder handeln von Außerirdischen. Das Kriegsende löste in den USA als dem großen Gewinner des Kriegs eine Welle von Zukunftsoptimismus aus, der sich auch in der SF-Literatur niederschlug. In den 1940er bis -60er Jahren entwarfen Autoren wie Heinlein, van Vogt, Asimov und Clarke das schillernde Gemälde einer Zukunft im All. Der Aufbruch in den Weltraum schien plötzlich so selbstverständlich, dass nicht mehr die Frage gestellt wurde, ob er je stattfände oder warum; es galt als Allgemeinplatz, dass der Pionierdrang den Menschen zuerst zu den anderen Planeten unseres Sonnensystems führen würde und dann zu den Sternen. Das All wurde zur grenzenlosen Spielwiese für Abenteuer. Parallel dazu nahmen auch in anderen Ländern die Zukunftsvisionen Fahrt auf. Vor allem der Ostblock entwickelte eine dynamische Literaturszene rund um die Raumfahrt. Wo die westliche SF eher actionbetont daherkam, bauten die östlichen Utopien auf humanistischen Traditionen auf. Prägend wurden Autoren wie Lem, Gansowski, die Strugazki-Brüder und das Ehepaar Steinmüller. In dieser Zeit wurde auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs die Science Fiction geradezu synonym mit den Träumen vom Weltraum – nicht zuletzt, da sie in der Realität mit dem Wettlauf zum Mond zusammenfiel. Als der Mond real erreicht war, verlor sich der Schwung des Goldenen Zeitalters. Er genügte noch, um die Space Opera bis ins neue Jahrtausend zu tragen. Erst dort stürzte das Genre gnadenlos ins Bodenlose. Zum Ende des 20. Jhs. hin wurde die technische Space Opera erwachsen. Naive Abenteuerlust wich praktischen Überlegungen, was Menschen überhaupt ins All treiben könnte. Leider schied die Suche nach Reichtümern aus. Die Planeten unseres Sonnensystems hatten sich als unbewohnbar erwiesen, die Raumfahrt als aufwändig und teuer. Ob und wann der Aufbruch zu anderen Welten sich wirtschaftlich je lohnen wird, ist ungewiss. Parallel dazu machten technische Fortschritte viele Genrekonventionen des Goldenen Zeitalters obsolet. Wozu bemannte Forschungsschiffe aussenden, wenn es automatisierte Sonden gab? Solange es der Menschheit auf der Erde gut ging, schien es keinen Grund zu geben, sie zu verlassen. So stürzten sich die Autoren des frühen 21. Jhs. dankbar auf die großen Krisen, die eine baldige Apokalypse verhießen: Bevölkerungswachstum und Klimawandel. Die Flucht von einer sterbenden Erde wurde zum dominierenden "praktischen" Grund für den Aufbruch ins All. Wodurch sich leider allgemein das Gefühl ausbreitete: Um in den Weltraum fliegen zu wollen, muss man schon verzweifelt sein. Die bunte, abenteuerliche Space Opera existierte weiter, doch legte sie jeden Anspruch ab, eine realistische Zukunft darstellen zu wollen. So wurde die verbleibende Hälfte des Genres zu reiner Fantasy vor Weltraum-Dekor. War's das also? Ist es das, wie die Träume vom Weltraum enden – gefangen zwischen Endzeit und Eskapismus? 4000 Jahre Space Opera sprechen eine andere Sprache. Es hat immer schon jene gegeben, die keinen Anreiz wie ferne Reichtümer oder die Flucht vor einem drohenden Untergang brauchten – denen die Aussicht auf neue Horizonte allein genügte, um vom Aufbruch ins All zu träumen. Sie formulierten jene Visionen, die andere motivierten, ernsthaft in den Weltraum zu streben. Es gäbe heute keine Satellitenkommunikation ohne die Sage von Etana und dem Adler. Um die Krisen der Gegenwart zu überstehen, werden wir positive Aufbruchsvisionen für die Zeit danach brauchen. Schreibt sie! – Markus Gerwinski, 19.07.2022 |
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